WEIHNACHTSGEDÖNSE ODER WER BRAUCHT BRAUCHTUM EIGENTLICH
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Ich möchte Dich nicht anlügen: Vor Viktor gab es im Dezember bei uns in der Wohnung nichts, was auch nur im Entferntesten an Weihnachten erinnert. Vielleicht versehentlich eine rote Blume auf der Kücheninsel, die weihnachtlich anmutete. Ansonsten: nada. Bis Kind 1.0. bei uns einzog.
Viktor war ungefähr 9 Monate alt, als das Weihnachtsfest für ihn das erste Mal anstand. Pünktlich einen Tag vor Weihnachten ging die Diskussion los, ob nun ein Weihnachtsbaum angeschafft werden soll oder eben nicht. Immerhin konnte der Knabe noch nicht einmal sprechen und so richtig erinnern würde er sich wahrscheinlich sowieso nicht daran, ob wir an seinem ersten Weihnachten eine Tanne im Wohnzimmer stehen hatten oder nicht. Außerdem ahnten wir bereits, dass so ein beleuchteter Baum mit vielen tollen bunten Spielzeugen (Kugeln) dran sicherlich eine gewisse Faszination ausüben würde und das ein oder andere Kind gerne mit ihm spielen möchte. Meine Schwiegermutter gab den Anstoß, es trotzdem zu tun.
Warum?! Wegen der leuchtenden Kinderaugen beim Anblick eines Weihnachtsbaumes und der Familientradition, die wir uns dazu ausdenken könnten. Mit diesen sachlich schwachen, aber emotional schlagenden Argumenten hatte sie uns.
Das erste Mal: Der Weihnachtsbaumkauf
Am selbigen Tag sind wir also zu Dritt per Pedes losgepirscht und schauten uns unvorbereitet Weihnachtsbäume beim nächstbesten Stand an. Wir sagten spontan „wenn schon, denn schon“ und kauften statt der angedachten 1,50 m Tanne einen 3,50 m Koloss. Wir neigen zu „ganz oder gar nicht“ und entsprechend überraschte es die wenigsten Freunde und Familienmitglieder, dieses Ungetüm temporär in unserem Wohnzimmer vorzufinden.
Eines hatten wir jedoch nicht bedacht: Wir hatten im Arm ein 10-kg-Kind und mußten jetzt mit diesem riesigen und nicht minder schweren Baum durch die halbe Hood laufen, ihn zwei Etagen hoch buckeln (Aufzug war zu klein) und ihn tadaaaaaa auch irgendwie aufstellen. Wir stellten fest, dass wir doch einen professionellen Aufsteller benötigen und fuhren nochmals los, um so ein Exemplar in der Metro zu erstehen. Mittlerweile bereits nass geschwitzt von der Schlepperei und einem doch recht übellaunigen Kind, wurde unsere Weihnachtstradition nicht ganz so besinnlich, wie erhofft. Dafür war Lisa unglaublich erfolgreich am nächsten Tag, da die Weihnachtsbaum-Dekoration bereits komplett um 50 Prozent rabattiert war. Das machte ihr so viel gute Laune, dass sie trotz halbem Preis 200 Euro ausgab. Aber: Wir waren danach wirklich maximal eingedeckt. Niemand konnte sich da beschweren. Tat auch niemand.
Weihnachtsgedönse von A bis Z
Seitdem gibt es bei uns in jedem Jahr einen selbstgeschleppten Weihnachtsbaum (mittlerweile selbstgezogen per Bollerwagen), einen dilettantisch zusammengewürfelten Adventskranz mit echten Kerzen, selbst gebackene Plätzchen, wild verteilte Lichterketten und natürlich einen (oder auch 2 oder 3) Adventskalender.
Und…jetzt bitte alle festhalten: Wir gehen seitdem jeden Heiligabend mit den Großeltern in die Kindermesse inklusive Krippenspiel. Jepp, da hörst Du richtig und darfst auch mal tief durchatmen. Bisher war das immer großes Kino. Es gab etwas zu Lachen für Schadenfreudler und auch für verkannte Gesangstalente gibt es in diesen 45 Minuten viel zu tun.
Warum braucht man Weihnachten eigentlich?!
Ob wir es ohne Viktor so machen würden? Die Wahrscheinlichkeit liegt bei ungefähr — großzügig geschätzt — 0 Prozent. Aber darum geht es ja eben: Man macht es als Eltern nicht für sich, sondern für die leuchtenden Kinderaugen. Um für die lieben Kleinen diese Zeit zu einer ganz besonderen zu machen. Um für sie, die noch an Weihnachtswichtel und Feen glauben, kleine Wunder wahr werden zu lassen. Für die Vorfreude, den Weihnachtszauber, den Lebkuchenduft und für die schönen Erinnerungen. Dafür eben. Ob es Geschenke gibt? Logo. Ob wir jeden Kommerz wie Valentinstag dadurch auch huldigen? Nö. Ob wir Silvester knallen? Nope.
Und ja, wir finden es auch völlig ok, wenn jemand trotz Kind Weihnachten komplett den Rücken kehrt und das ganze Weihnachtsgedönse nicht in seine Heiligen Hallen läßt. Wir haben uns aber dafür entschieden. Es ist eine Herzensentscheidung, die wir mittlerweile selbst genießen, feiern und möglicherweise auch mal über das Ziel hinaus schießen. #CreepyChristmas
mer wieder in kleine Sushirollen verwandeln und in Schubladen und Schränke einsortieren? Nope. Warum denn auch? Unser altes System funktioniert doch großartig.
Lisa versprach mir, dass ich nur 10 Minuten reinschauen müsse und damit wäre sie schon glücklich. Es ginge nur um einen Einblick in Falttechnik. Ich war dagegen.
Das Feldexperiment
Zwei Tage später hatte sie alle meine Klamotten mit dem neuen System einsortiert. Es sah sah richtig cool aus, da sie alles farblich sortiert hatte. Gut, dass das keine Zukunft haben wird, war selbst Lisa klar. Aber es ging um ein Feldexperiment, wie sie es nannte. Sie sortierte ein paar Tage später auch die Sachen von Viktor und sich um, sodass wir plötzlich enorm viel Platz in den Schränken hatten. Das war erstaunlich, da wir vorher nichts aussortiert hatten.
Plötzlich war ich interessiert und fragte sie nach einer Folge zum Thema Papierkram. Denn was mit Kleidung ging, müßte doch auch auf das Büro zu übertragen sein. Und da sah selbst ich Handlungsbedarf. Nach 20 Minuten hatte mich Marie am Haken. Ich schaute mir drei Folgen hintereinander an, da das Aufräumen der Keller sowie Garagen mich mitten ins Herz traf. Die Männer schienen so befreit und voller Energie zu sein, nachdem sie ihre Revier in einen Ort verwandelt hatten, an dem sie sich gerne aufhielten.
Was ich nicht tat: Wegwerfen. Ausgemistet hatten wir tatsächlich sehr radikal bei unserem Umzug und das war aktuell nicht unser Problem.
On Fire
Noch mehr geschah in mir. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis meine Handy-Apps zu sortieren, mein Laptop, meinen Papierberg, meine Bücher, alles. Und es geschah etwas sehr merkwürdiges: Ich fand es nicht nur enorm befreiend, sondern behielt das System bei, den unser altes System erschien mir nun doch nicht mehr so großartig.
Klar, versuchten wir auch Viktor zu überzeugen abends ein wenig mitzufalten und seine Spielsachen vor dem Schlafengehen wieder an einen vorgesehenen Ort zu bringen. Aber das Interesse ist bis dato relativ gering. Kondos Mädchen haben das Aufräum-Gen wohl eher geerbt. Hier wird das sicherlich noch etwas Zeit brauchen, um es fest in die Familie zu installieren, wenn ich so den allabendlichen Lego-Spielzeugberg im Wohnzimmer betrachte, den wir am Ende verstauen während Viktor bereits schläft.
Nachtrag: Nach fünf Wochen gab es doch eine Veränderung. Viktor räumte morgens für die Putzfrau auf, damit sie nicht über seine Sachen stolpert. Freiwillig und ohne Einmischung unsererseits. Immerhin liegt ihm die Gesundheit von ihr am Herzen.