3-4 Jahre Trotzphase

DER TRAUM VOM COO­LEN HOB­BY: WO IST DIE PRI­CKEL­ZO­NE

By on 26. Januar 2019

[5 Minu­ten — durch­schnitt­li­che Lese­zeit]

Hast Du Dir bereits die cools­ten Hob­bies für Dein Klein­kind über­legt und schon mal sicher­heits­hal­ber recher­chiert, ob bei euch in der Nähe ein Ver­ein oder ein Leh­rer dafür zu fin­den ist? Mein Rat dazu: Lass’ es. Wirk­lich. Inves­tie­re Dei­ne Zeit in ande­re Din­ge. Rea­lis­ti­sche Din­ge, die Du selbst beein­flus­sen kannst. Küm­me­re Dich zum Bei­spiel lie­ber um Dich: lese ein gutes Buch, chil­le, gra­se, mache nix. Alles sinn­vol­ler als zu glau­ben, Du könn­test Dei­nem Kind ein Hob­by auf­drü­cken. Kanns­te näm­lich nicht. Außer mit Gewalt und das wol­len wir ja net, oder?! Man will ja nur das Besch­de für sein Kind. Heu­te erklä­re ich Dir die Pri­ckel­zo­ne.

Der Selbst­fin­dungs­trip

War­um ich weiß, war­um das nichts bringt?! Ganz ein­fach, ich habe Vik­tor als Beweis. Wit­zi­ges Kerl­chen, lei­der bereits mit 3 Jah­ren voll auf dem Selbst­fin­dungs­trip – auf „selbst“ liegt hier die Beto­nung. Wir hat­ten uns wun­der­ba­re Din­ge für ihn her­aus­ge­sucht und waren teil­wei­se 2 Jah­re auf War­te­lis­ten, um den jewei­li­gen Traum wahr wer­den zu las­sen. Was pas­sier­te? Das Kind ging zum Musik­un­ter­richt, Judo­un­ter­richt, Tanz­un­ter­richt (Lis­te lässt sich an die­ser Stel­le belie­big erwei­tern)… und danach? Spä­tes­tens nach dem 4. Mal war die Luft raus. Also völ­lig, nicht nur tem­po­rär. Selbst mit Engels­zun­gen, Bestechun­gen und sons­ti­gen gewalt­frei­en Mög­lich­kei­ten war das Kind nicht mehr bereit auch nur einen Schritt in die jewei­li­ge Loca­ti­on zu machen. Dabei waren wir selbst vor Ort. Also alles noch in der kom­for­ta­blen Eltern-Kind-Zone. Du ver­stehst: mit­hop­sen, mit­sin­gen, mit auf die Mat­te fal­len. Das gan­ze Pro­gramm.

Wir gaben nach einem hal­ben Jahr auf und fühl­ten uns von einem Drei­jäh­ri­gen kom­plett ver­ulkt. Als dann nach mona­te­lan­ger Pau­se ein Schrei­ben kam, dass Vik­tor unter den Glück­li­chen sei und in einer Turn­grup­pe auf­ge­nom­men sei. Mei­ne Frau wuss­te schon gar nicht mehr, dass sie ihn dort vor Jah­ren ange­mel­det hat­te… Wir lach­ten nur belus­tigt über das Schrei­ben und woll­ten direkt nett, aber ohne Pro­be­trai­ning absa­gen. Die Blös­se woll­ten wir uns nicht ein wei­te­res Mal geben. Außer­dem: Tur­nen. Mal im Ernst. Ist das über­haupt ein Hob­by für Jungs? Und was machen so Zwer­ge da schon außer das, was sie eh den gan­zen Tag machen: näm­lich über Tische und Bän­ke sprin­gen…

Gesagt, getan, wir sag­ten ab. Am sel­ben Abend schrieb eine Freun­din, ob Vik­tor auch eine Zusa­ge bekom­men hät­te. Ihre Toch­ter auch und sie wür­de ger­ne dort­hin. Also ließ sich Lisa über­zeu­gen, dass sie doch ein Pro­be­trai­ning mit­ma­chen. Sie mein­te, es wäre im schlimms­ten Fal­le wie immer und im bes­ten Fal­le macht es ihm Spaß, da nun ein Kind dabei sei, das er kennt.

Die Aus­re­den­lis­te

Es war noch über einen Monat hin bis zur ers­ten Stun­de Tur­nen und wir lie­ßen kei­ne Mög­lich­keit aus, uns dar­über zu amü­sie­ren, dass nun die nächs­te Nie­ten-Ver­an­stal­tung auf uns war­tet. Und wie vie­le Aus­re­den er fin­den wür­de, um auf der Bank sit­zen blei­ben zu kön­nen. Mein Fuß will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich bin müde, ich habe Hun­ger, ich habe Durst, ich will erst ein­mal nur zuschau­en, hier ist es zu kalt, hier ist es zu warm, die Kin­der sind lang­wei­lig, der Leh­rer redet zu laut, Turn­schlap­pen sind nur für Mäd­chen, ich mag mei­ne Socken nicht aus­zie­hen, nur wenn ich danach Gum­mi­bär­chen aus dem gro­ßen Glas da oben fischen darf… Auch die­se Lis­te ist belie­big erwei­ter­bar.

Lisa und Vik­tor waren am Turn­nach­mit­tag 30 Minu­ten zu früh vor Ort. Bereits beim Umzie­hen ging es los: Nein, er woll­te auf kei­ne Fall eine kur­ze Turn­ho­se, son­dern eine lan­ge. Nichts half. Um das Pro­be­trai­ning nicht dar­an schei­tern zu las­sen, fuhr Lisa mit Vik­tor zurück zur Kita in der Hoff­nung, dort wäre noch eine Jog­ging­ho­se in sei­ner Gar­de­ro­be. Nichts. Genervt fuhr sie wie­der zurück und mein­te: Ent­we­der die kur­ze Turn­ho­se oder Du lässt ein­fach Dei­ne Jeans an. Freu­dig über die­se coo­le Opti­on sei­ne nor­ma­le Hose anbe­hal­ten zu dür­fen, hüpf­te Vik­tor in die Turn­hal­le und leg­te direkt los. Er klet­ter­te todes­mu­tig auf alles, was dort bereits auf­ge­baut war und sprang in die Tie­fe. Weni­ge Minu­ten spä­ter traf auch sei­ne Freun­din ein und hüpf­te begeis­tert mit. Die „Turn­leh­re­rin“ erklär­te, als die Stun­de offi­zi­ell begann die Sta­tio­nen des Parkours und mach­te dann eine uner­schüt­ter­li­che Rei­he an Kin­der­lie­dern an. Aram­sam­sam und Co. Alle Eltern wis­sen, auf wel­che CD ich anspie­le – beinhal­tet die Zahl „30“ und das Wort „Bewe­gung“.

Spaß ohne Ziel

Nach 50 Minu­ten unkon­trol­lier­ten, frei­en Klet­tern, Rum­hüp­fen und Sprin­gen war die Pro­be­stun­de vor­bei. Und was soll ich sagen?! Völ­li­ge Begeis­te­rung und seit­dem ist die Rübe inklu­si­ve weib­li­chem Anhang jede Woche ohne Mur­ren und Dis­kus­sio­nen mit Elan und muti­gen Spring­ein­sät­zen dabei.

Man kann jetzt auch nicht sagen, dass sie dort nichts ler­nen. Teil­wei­se müs­sen die Zwer­ge wie Äff­chen klet­tern und Geschick­lich­keit sowie Kör­per­be­herr­schung bewei­sen. Tun sie auch. Aber ohne Druck und Zurecht­wei­sung, son­dern aus frei­em Wil­len und dann, wenn sie sich soweit füh­len. Ansons­ten machen sie ein­fach einen Bogen um die Sta­ti­on und ren­nen zur nächs­ten.

Ich gebe es ungern zu, aber es ist, wie es ist: Klein­kin­der sind kei­ne gro­ßen Fans von vor­ge­ge­be­nen, ein­schrän­ken­den Hob­bies. Sie lie­ben es wie folgt: Ihr Tem­po, ihre Idee dahin­ter, wie man irgend­wo hoch­klet­tert oder eben auch nicht.

Learnings 1–5

Learning 1: Mel­det euch immer direkt mit einer ande­ren Fami­lie an, denn mit einem bekann­ten Gesicht macht es dop­pelt Spaß. Eltern zäh­len da eher als „Klar musst Du dabei sein, aber ich brau­che mei­nen Bud­dy als Spar­rings­part­ner, um wirk­lich moti­viert zu sein.“

Learning 2: Manch­mal ist der männ­li­che Zwerg (beson­ders zwi­schen 2–4 Jah­ren) selbst­be­wuss­ter, wenn nicht Mama, son­dern Papa am Start ist und ihn beglei­tet. Bei Zwer­gin­nen scheint die­ses Prin­zip nicht über­trag­bar zu sein. Hier müss­te ein Psy­cho­lo­ge mal ran, um das zu erklä­ren.

Learning 3: Kin­der suchen sich von ganz allei­ne Wider­stän­de, die sie über­win­den kön­nen. Sie wach­sen, indem sie selbst gestell­te Auf­ga­ben abar­bei­ten und per­sön­li­che Erfah­run­gen machen.

Learning 4: Wenn ein Kind bei­spiels­wei­se im Wald auf einen umge­fal­le­nen Baum­stamm klet­tert, soll­te es selbst ein­schät­zen kön­nen, aus wel­cher Höhe es hin­un­ter­sprin­gen kann. Die Natur hat es so vor­ge­se­hen, dass es da beson­ders anfängt zu krib­beln, wo sich Lust und Angst mischen. In die­ser soge­nann­ten Pri­ckel­zo­ne ent­wi­ckeln sich Kin­der am schnells­ten wei­ter. Wir Eltern soll­ten hier nicht zu schnell ein­grei­fen, denn man kann Kin­dern nicht ver­ord­nen, wann sie sich in der Pri­ckel­zo­ne befin­den. Sie fol­gen ihrem eige­nen Antrieb und wach­sen in ihren Kör­per hin­ein. Das gibt ihnen Selbst­ver­trau­en.

Learning 5: Nur weil Du eine Sache nicht als Hob­by ansiehst, heißt das noch lan­ge nicht, dass Dein Wurm es nicht mega lus­tig fin­det und viel mehr Freu­de dar­an hat, als wenn es zu vie­le Regeln gibt.

Und wie sag­te ein Kum­pel so schön, als ich ihm die Sto­ry erzähl­te: „Wie­so über­rascht Dich das? Ich fand es noch bis 18 am cools­ten, wenn der Sport­leh­rer am Anfang der Stun­de einen Ball in die Hal­le gewor­fen hat und sag­te ‚Viel Spaß und macht was draus’.“

Bild­nach­weis: Flickr | Makin’ Sand Ice Cream | Alex­an­der von Halem
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