RAUS AUS DER SKLAVENFALLE: WIE MAN ALS ELTERN WIEDER EIN STÜCK FREIHEIT SCHNUPPERN KANN
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Wir waren angekommen im klassischen Eltern-Kind-Martyrium: Das Sklaventum hatte auch uns erwischt und wir spürten, dass die Fesseln jeden Tag immer enger geschnürt wurden. Erst waren wir nur Dienstleister eines hilflosen Säuglings, doch irgendwie hatten wir mal wieder das Stop-Schild übersehen und da saßen wir nun mit einem dreijährigen Sklaventreiber namens Viktor.
Man kann sich ohne Kind noch so oft vornehmen und jedem kundtun, dass man es anders machen wird als alle anderen Eltern — bis man selbst in der Situation ist. Ein weiteres Problem war, dass wir irgendwann mehr gelesen und Ratschläge entgegen genommen hatte, als auf unser Gefühl zu hören: man soll nicht ständig „Nein“ sagen, da Kinder sind sowieso immer die Verlierer und fühlen sich entsprechend unverstanden und den Erwachsenen ausgeliefert, sie sollen die Wahl haben, bedingungslose Liebe, Partizipation, etc.
Was wir nicht bedacht hatten war, dass man im Umkehrschluss kleine Paschas zu Hause sitzen hat, die merken, dass man versucht ihnen alles recht zu machen und das Leben möglichst angenehm zu gestalten.
Der müde Esel auf Kuba
Gleichzeitig waren wir schlicht und ergreifend zu müde geworden für die täglichen Kampfeinsätze und gaben öfter nach, als es pädagogisch wertvoll gewesen wäre. Nur, um endlich Ruhe zu haben. Falscher Ansatz, aber ich will Dich nicht anlügen: Die Wahrheit ist oft ein unpädagogischer, müder Esel auf Kuba, der einfach nur in Ruhe grasen will und nicht mit dem Zwerg zum 197. Mal darüber diskutieren möchte, dass man genau jetzt weder Zeit noch Lust hat ein transparentes Playmobil-Visier eines Motorradfahrers im hochfloorigen Teppich zu suchen, da man jetzt zur Kita fahren muss. Du siehst: Wir waren bereits am Tiefpunkt und in unserer Handlungsfähigkeit sehr eingeschränkt. Glaubten wir zumindest.
Habe ich eigentlich bereits erwähnt, dass wir müde waren? Ach ja. Gut und das war auch der Auslöser dafür, dass wir etwas ändern mußten. Aber schnell. Sowohl im Hinblick auf unsere Situation mit dem Zwerg, als auch mit unserer Ernährung. Glücklicherweise war auch gerade das Jahresgespräch in der Kita, sodass man auch direkt einige Themen dort diskutieren konnte.
Punkt 1 bis 4 änderten wir umgehend
Besonders das Knatschen von Viktor, wenn er unzufrieden war (und das war er natürlich gefühlt ständig), ging uns mächtig auf den Zwirn und strapazierte unsere Nerven. Das war Punkt 1 auf unserer Liste und wir gingen das Thema direkt an. Wir erklärten Viktor, dass er jetzt 3 Jahre alt ist und er uns vernünftig sagen kann, was er für Herausforderungen hat. Dann würden wir versuchen eine Lösung zu finden. Knatschen ist etwas für kleine Kinder, die noch nicht sprechen können und wir würden entsprechend ab dem heutigen Tag auf sein Knatschen absolut NULL reagieren. Er könne es gerne testen. Das wäre nun Fakt. Ende der Diskussion.
Punkt 2 war seine Bequemlichkeit. Er war wie jedes Kind anfangs sehr fleißig und wollte alles selber machen. Die Motivation dazu ebbte genau an dem Tag ab, als er geschickt genug war, die Dinge wirklich selbständig zu übernehmen wie Spülmaschine mit ausräumen, Spielsachen einsortieren, Tisch decken, Wasser ins Glas schütten, Taschentuch benutzen, Fahrrad selbst schieben, etc.
„Mama/Papa mach Du das“ oder „Ne, ich will aber nicht, mach Du das“ oder „Ich will nicht aufstehen, bringe mir das“ waren nun eingespielte Standardsätze, die entweder uns zu Sklaven machten oder zu Schreikrämpfen eines bockigen Dreikäsehoch führten. Im Volksmund auch Trotzanfall genannt. Und wer selbst ein Kind hat weiß, dass eine Kleinigkeit wie ein halber statt ganzer Keks gerne ein ausgewachsener Tobsuchtsanfall werden kann, der bis zu einer Stunde fröhlich eskaliert.
Lisa sind solche Szenen in Gesellschaft peinlich und daher ging sie meist den Weg des geringsten Widerstandes. Das bedeutete auch gerne 39 Mal aufstehen, um dem Kind die Nase zu putzen, da es schrie „Die Nase läuft, komm schnell“. Aber damit war nun Schluss. Wir nahmen uns vor, dass wir nun lieber den möglichen Anfall aushalten bevor wir wieder in die Sklavenfalle tappen.
Punkt 3 war und ist unsere Ernährung. Wir dachten immer, dass wir uns gesund ernähren. Grundsätzlich stimmt das wahrscheinlich auch, aber wir aßen die richtigen Dinge zur falschen Zeit oder wir tranken zu wenig über den Tag verteilt.
Punkt 4: Wir führten den Papa-Tag ein. Ein Highlight am Wochenende gehört nun nur Viktor und mir. Ein geplanter Ausflug mit allem Zipp und Zapp. Er wird in der Woche gemeinsam überlegt, geplant und ganz alleine ausgeführt. Mama darf sich weder einmischen noch helfen.
Kritiklos Dienen oder eben nicht ist anfangs gleich anstrengend, aber das Ergebnis ist halt ein anderes
Und was soll ich Dir sagen? Es ist möglich. Am Ende ist beides gleich anstrengend, aber nach ein paar Wochen erntest Du ein paar kleine Früchte und Dein Kind versucht zumindest selbständiger Herausforderungen zu lösen und ist wesentlich flexibler, wenn es an die Grenzen von andere Mitmenschen stößt. Langfristig auf jeden Fall wichtig, wie man unschwer auch an Erwachsenen erkennen kann, die das leider nie gelernt haben.
Ich werde berichten, was aus dem armen Knaben wird, der nun öfter ein Nein hört und trotzdem bedingungslos geliebt wird. Und natürlich, wie das Leben nach der Sklaverei schmeckt, riecht und sich anfühlt. #BisKind2Kommt