BEIKOST: BEI-WAS?
[6 Minuten — durchschnittliche Lesezeit]
Erst einmal mußte ich nach der Geburt von Viktor ein neues Wort lernen „Beikost“. Ich gebe es offen zu: Ich hatte von Beikost noch nie gehört. Daher kurz für Dich, wenn Du genauso rudimentäre Kenntnisse besitzt, wie ich anfangs: Beikost ist eigentlich schlicht und ergreifend Kost also Essen (anfangs meist in Breiform).
Man sagt zu Beikost deshalb BEI-KOST, da sie zur Milchnahrung parallel also nebenbei angeboten wird. Also kein Ersatz, sondern eine Ergänzung. Interessanterweise habe ich viele Eltern kennengelernt, die irrtümlich glauben, dass die Beikost dazu dient, möglichst schnell die Milchnahrung zu ersetzen. Das stimmt jedoch nicht: Die Hauptnahrungsquelle im ersten Lebensjahr des Zwerges ist Milch.
50 Prozent landet im Schnabel – 50 Prozent auf Kleidung, Boden und Co.
Wir waren absolut euphorisch, als es soweit war und wir endlich mit Brei statt Milch starten konnten. Viktor haben wir recht früh (ca. 5,5 Monate) seinen ersten Pastinaken-Brei angeboten, da wir Mitleid mit ihm hatten. Er starrte dermaßen gierig auf unsere Mahlzeiten, dass wir ihm schnellstmöglich etwas geben wollten. Da er immer ein guter Esser war, katapultierte ihn der erste Brei nach dem ersten Löffel ins Paradies – auch wenn das Paradies nach der Verköstigung recht verkleckert aussah. Gut, es sah aus, als wäre eine Essensbombe eingeschlagen. Luftholen und Losprusten, Jubeln, Schlucken, Hände, die mit dem Löffeln in den Mund mußten – das alles waren die Auslöser für eine Menge Brei rund um seine Wippe, in der wir ihn anfangs fütterten. Wir lernten, wie man die Umgebung (weißer Teppich, helle Bodys) mit Mülltüten, Küchentüchern, Lätzchen und Moltontüchern vorab sicherte, um den Schaden zu minimieren. Insbesondere Frühkarotten hinterließen künstlerische, farbechte Muster, die bis heute einen Teppich und schmücken.
Als nach einigen Wochen Getreidebrei mit Apfelmus hinzukamen, war sowohl sein Leben als auch sein Bauchumfang auf dem Höhepunkt.
Selbstgekochter oder gekaufter Brei?
Ein interessantes Phänomen war auch, dass Viktor wie viele andere Zwerge selbstgekochten Brei nicht ansatzweise so verlockend fand wie gekaufte Gläschen. Und wir haben uns wirklich redlich Mühe gegeben: nur Bioprodukte (logo, ist der Erstgeborene) und gemixt, was das Zeug hält. Ich probierte sogar alles wagemutig und muss sagen: Es schmeckt alles gleich fade. Denn ohne Salz und Zucker ist Essen eben der halbe Spaß. Gut, weiß der Frischling ja nicht. #NochNicht
Also seid nicht allzu traurig, wenn euer Kind das selbstgemachte Essen verschmäht und bei den gekauften Gläschen freudestrahlend den Schnabel öffnet.
Übrigens vergesst gleich Trick 17 mit: Ich fülle einfach selbstgemachten Brei in Gläschen, damit die Optik stimmt. Bringt gar nichts. Doof sind die Knirpse nämlich nicht. Die merken das sofort.
Beikost ab wann?
Ansonsten wird von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) empfohlen, dass Beikost je nach Kind nicht später als zu Beginn des 7. Lebensmonats und nicht vor dem Beginn des 5. Monats gegeben werden soll. Der Start von Beikost ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Abstillen, sondern lediglich eine Ergänzung des Stillens durch Nahrung bis zum Ende des ersten Lebensjahres und darüber hinaus. Ich könnte Dir jetzt natürlich mit dem Argument kommen, dass das in anderen Ländern anders gehandhabt wird. Aber dann kommen wieder Argumente zum Thema höhere Sterblichkeitsrate, Allergierisiko etc.
In Deutschland wird eine eher schematische, stufenweise Einführung empfohlen. Was natürlich wenig überrascht: Wir Deutschen sind halt sehr korrekt. Erst den Gemüse-Kartoffel-Fleischbrei, danach den Getreide-Obst-Brei und abschließend den abendlichen Getreide-Milch-Brei. Was ich auch nicht wußte: in einem 190 Gramm Gläschen sollten 8–10 Gramm Fett enthalten sein. Ist darin weniger, sollst Du Öl zusätzlich reinrühren. Ein Teelöffel Öl ergibt 4–5 Gramm Fett. Am Besten nimmst Du raffiniertes Rapsöl. Oft liest man, dass man zu Fleisch-Brei Saft einrühren soll. Das musst Du nicht, denn 1. wird darüber gestritten, welcher Saft überhaupt dafür der Richtige wäre und 2. tun es ein paar Löffelchen Obstbrei nach der Hauptmahlzeit als Nachtisch auch.
Manch ein Kind isst begeistert — andere jedoch wollen ihrem Fläschchen nicht adieu sagen. Sie essen wenig und dadurch sind die Eltern manchmal verunsichert. Unnötigerweise, denn die optimale Babynahrung im ersten Jahr ist und bleibt Milch. Also bleibe locker, denn Dein Zwerg hat sein eigenes Tempo. Du wirst mittlerweile gemerkt haben, dass Du nicht mehr so viel zu piepen hast, wenn es um den Willen Deines Kindes geht. #GewöhneDichLieberDran
Welche Lebensmittel solltet ihr anfangs meiden?
Folgende Lebensmittel sollten im ersten Lebensjahr und teilweise auch darüber hinaus kein Bestandteil der Beikost sein:
• Kuhmilch
• rohe Eier und Rohmilch (Gefahr wegen Salmonellen)
• Honig (kann Botulinumbakterien enthalten)
• Nüsse (Erstickungsgefahr)
• Salz (belastet die Nieren)
• Quark (zu viel Eiweiß, das die Nieren belastet)
• künstliche Süßstoffe
• kaltgepresstes Öl
• roher Fisch
• rohes Fleisch
Ungeeignet sind darüber hinaus:
• blähende Nahrungsmittel wie Linsen, Bohnen, Erbsen,
• Blattsalate (können nur unzureichend gekaut werden)
• Pilze (reichern Schadstoffe an und sind schwer verdaulich)
• Zwiebel
• Kohl
Spektakuläres Experiment mit Waisenkindern
Zudem fand ich ein sehr spannendes wissenschaftliches Experiment von der Kinderärztin Clara Davis aus dem Jahr 1926.
Bei diesem Experiment bekamen ausgewählte Waisenkinder zu jeder Mahlzeit ein Tablett mit zehn Speisen und zwei Getränken aus einem Sortiment von über dreißig verschiedenen Nahrungsmitteln. Zur Auswahl standen unter anderem Äpfel, pürierte Ananas, Tomaten, gebackene Kartoffeln, gekochter Weizen, Mais, Hafer, Roggen, gehacktes gekochtes Rindfleisch, Knochenmark, Hirn, Leber, Nieren, gehackter Fisch, Eier, Salz, Wasser, verschiedene Sorten Milch und Orangensaft. Die 15 Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und viereinhalb Jahren durften frei auswählen. Sie durften auch mit den Fingern essen, ohne dass die Manieren kommentiert oder korrigiert werden durften, wie es in der Studie hieß. Am Anfang tauchten einige Kinder das ganze Gesicht in die Schalen. Nach jeder Mahlzeit wurde exakt abgewogen, wie viel die Kinder von welchen Speisen gegessen hatten und was daneben gegangen ist.
Die Resultate waren phänomenal
Obwohl sich die Kinder nicht nach den Geboten von Eltern und Kinderärzten verhielten, entwickelten sie sich völlig normal. Sie zeigten keine Mangelerscheinungen, litten weder an Bauchschmerzen noch an Verstopfung. Das Experiment lief über mehreren Jahre. Nach ungefähr 37 500 servierten Mahlzeiten zeigte sich: Die Zusammenstellungen der einzelnen Kinder unterschieden sich enorm und waren geprägt von Vorlieben für spezielle Produkte. Es gab Kinder, die vier Bananen nacheinander aßen oder sieben Eier. Einen Dreijährigen filmte Davis, wie er als Dessert 450 g Lammfleisch verschlang.
Generell nahmen die Kinder viel mehr Früchte, Fleisch, Eier und Fett zu sich, als Kinderärzte damals empfahlen, und weniger Getreide und Gemüse. Ein Mädchen aß während des Experiments drei Jahre lang nur ca. ein Kilogramm Gemüse. Spinat wurde von fast allen Kindern verschmäht. Ähnlich unpopulär waren Kohl und Kopfsalat. Die Kombinationen von Speisen, die die Kinder zu sich nahmen, waren “der Albtraum jedes Ernährungswissenschaftlers”, wie Davis sich ausdrückte. Ein Frühstück konnte aus einem halben Liter Orangensaft und etwas Leber bestehen. Was aussah wie ein ernährungswissenschaftliches Chaos, stellte sich jedoch bei genauerer Betrachtung als sinnvolle Ernährung heraus: Die Mengen an Protein, Fett und Kohlenhydraten lagen nämlich im Rahmen der üblichen Werte.
Alle Kinder wuchsen normal, waren gesund (alle Blutwerte lagen im Normbereich) und es traten keine Mangelerscheinungen auf. Kein Kind war dick oder dünn. Ärzte bescheinigten den Kindern sogar einen überdurchschnittlich guten Gesundheitszustand.
Dieses Experiment hat gezeigt, dass Kinder offenbar ganz instinktiv und intuitiv wissen, was ihnen gut tut — also kannst Du Dich in Bezug auf die Beikost einfach von Deinem Kind leiten lassen.
Wichtig ist zu sagen, dass die Auswahl ausschließlich aus unverarbeiteten, ungewürzten und ungezuckerten Nahrungsmitteln bestand: kein Brot, keine Suppen, keine Süßigkeiten. Davis hatte beabsichtigt, einen Versuch mit verarbeiteten Speisen zu machen, doch sie erhielt keine Mittel dafür. Was herausgekommen wäre, kann man heute in jeder Fastfood-Kette beobachten.
Interessante Links, wenn Du mehr zu dem Thema erfahren möchtest:
Ein Artikel über „So führen Sie die Beikost ein“ bei Baby und Familie: https://www.baby-und-familie.de/Beikost/Uebersicht-So-fuehren-Sie-die-Beikost-ein-163073.html
Artikel über „Stillen und Beikost“ im Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/180178/Stillen-und-Beikost