ECHTE GEWINNER: SOLL ICH DEN ZWERG ABSICHTLICH GEWINNEN LASSEN?
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Ich gebe zu, dass „Gewinnen lassen“ ein sehr polarisierendes Thema ist und mich seit Jahren verfolgt. Ein guter Freund (nennen wir ihn Thorsten) erzählte mir, dass seine Eltern seine Neffen grundsätzlich bei Glücks- sowie Strategiespielen gewinnen ließen. Sprich sie mussten bei Glücksspielen sogar schummeln, um den Zwergen den vermeintlich wohlverdienten Sieg zu überlassen. Bei Strategiespielen ließen sie ihnen aus Fairnessgründen Vorsprung und meist mussten sie trotzdem am Ende mal mehr mal weniger offensichtlich dem Sieger auf seinen Ehrenpodest verhelfen.
Damals hatte Thorsten noch keine Kinder und er fand das ganze liebenswürdige Getue nervig bis langweilig für die erwachsenen Mitspieler. Gut, ich bin gerade nicht ehrlich. Eigentlich ging es ihm mächtig auf den Zwirn, dass diese Kinder in rosa Watte eingepackt wurden und meinte: „Sorry, aber das wahre Leben sieht anders aus und wie und wann sollen sie gefälligst lernen, dass sie gar nicht so gut sind, wie gedacht.“ Er fand es einfach nicht sonderlich zielführend für die Entwicklung der Kinder. Denn: Natürlich waren diese Kinder extrem schlechte Verlierer. Woher er das weiß?! Er hatte sie selten absichtlich gewinnen lassen – aus Prinzip und erntete dafür jedes Mal böse Blicke von seinen Eltern, wenn das Geschrei der Verlierer losging. Das war ihm aber egal, da er den großen Vorteil hatte am Ende des Abends gehen zu dürfen. #NoTimeForLosers. Er wurde irgendwann nicht mehr von seinen Eltern zu den familiären Spieleabenden eingeladen.
In das Champion-Konto einzahlen
Einige graue Haare später und ein bisschen altersweiser durch den eigenen Nachwuchs, sieht auch er die Sache etwas differenzierter. Eine Freundin mit drei Kindern erzählte mir sogar, dass sie unter anderem aus dem Grunde einen Erziehungscoach aufgesucht hatte. Der sagte, dass bis zum Schulalter Kinder für ihr Selbstwertgefühl solche spielerischen Siege benötigen, da sie im Alltag sowieso meist das Gefühl hätten, den Kürzeren gegenüber den Eltern und Kindergärtnern zu ziehen. Das klang recht plausibel: Man zahlt sozusagen auf ihr Champion-Konto ein, damit es mit dem Loser-Konto wieder ein wenig im Ausgleich ist.
Aber ganz ehrlich: So ganz befriedigend fand ich diese Strategie nicht. Ich recherchierte daher fleißig weiter. Du ahnst es sicher bereits: Wie immer macht die Dosierung das Gift. Es schadet also nicht, wenn man ein Kindergartenkind ab und zu gewinnen lässt. Jedoch möglichst unauffällig. Wenn der Zwerg herausfindet, dass Du die Regeln bewusst zu seinen Gunsten änderst, kann er sich „betrogen“ fühlen.
Natürlich ist Gewinnen und etwas „besser als andere zu können” gut für das Selbstbewusstsein des Zwerges. Aber er muss auch lernen, ein guter oder zumindest ein akzeptabler Verlierer zu sein. Und um das zu lernen gibt es nur den harten Weg: Immer mal wieder verlieren – und bei Tränenausbrüchen durch die Enttäuschung aufrichtig getröstet werden.
Deine Aufgabe ist es nun Verständnis zu zeigen, denn die Kids müssen erst lernen Verlieren zu ertragen. Und das fällt selbst manch einem Erwachsenen noch schwer. Dein berühmt berüchtigter Siegestanz ist also fehl am Platz. #IKnowYouHaveThatDance.
Nehme Dein Kind in den Arm und erkläre, dass es nicht schlimm ist, mal zu verlieren. Aber, dass Du verstehen kannst, dass Dein Kind sich ärgert und traurig ist.
Lösungen für das Champion-Loser-Dilemma
Bei Strategie-Spielen könntest Du beispielsweise statt Deinem Kind einfach den Siegerpodest zu überlassen, den Zwerg auf dem Spielbrett einige Felder vor Dir starten lassen. Mögliche Erklärung: „Da Du das Spiel noch nicht so oft gespielt hast wie ich/weil ich viel älter bin, darfst Du ein paar Felder weiter Vorne starten.“ Durch diese kleine Regeländerung mit schlüssiger Erklärung, verändert man gemeinsam die Regeln, damit das Spiel fair ist.
Die meisten Spiele, die auf Glück basieren, sind für Erwachsene und Kinder gleichermaßen fair. Würfelspiele oder Kartenspiele sind oft Glücksspiele, meist muss man noch zusätzlich ein bisschen aufpassen. Gerade bei Glücksspielen bleibt es aber nicht aus, dass Du auch mal gegen Dein Kind gewinnst.
Welche Idee ich lustig und gleichzeitig lehrreich fand, war: „Wer kann am besten verlieren?“ Dafür kannst Du z.B. ein kleines Spiel wie Wettrennen veranstalten, bei dem einmal Dein Zwerg gewinnt und einmal Du. Wer mit der Niederlage am besten umgehen kann ohne zu weinen oder sauer zu sein, hat gewonnen. Hier kannst Du wunderbar zeigen, wie Du mit dem Verlieren umgehst. Beispiel: „Ach Mensch, ich habe verloren. Naja, macht nichts. Es hat trotzdem viel Spaß gemacht.“
Solidarität im Kampf gegen den bösen Raben
Wir haben seitdem Viktor zwei Jahre alt das Kooperationsspiel “Obstgarten” von HABA. Hier spielst Du gemeinsam mit Deinem Kind gegen den “bösen” Zufall: den Raben. So gewinnt oder verliert man zusammen — Dein Kind kann Dich als Vorbild also beobachten, wie Du damit umgehst, der Verlierer zu sein und sich mit Dir solidarisieren und zur Not gegenseitig trösten.
Daneben gibt es eine Menge Spiele, die großen Spaß machen und sich nicht nur am Wettkampf orientieren: wie Puzzle oder eine gemeinsame Schatzsuche im Wald/Garten, Rollenspiele und Basteln.
Hier kann der Zwerg lernen, dass der Spaß am Spiel viel wichtiger ist als Gewinnen oder Verlieren. #NiceGamechanger