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LOB­HU­DE­LEI TEIL 1: ICH BIN EIN LOB-JUN­KIE

By on 19. September 2017

[6 Minu­ten — durch­schnitt­li­che Lese­zeit]

Teil 1 von 4: Ich bin ver­rückt nach Lob und Aner­ken­nung. Wirk­lich. Ich kann davon nicht genug bekom­men. Es ist wie eine Moti­va­ti­ons­dro­ge. Ich füh­le mich bestä­tigt und dadurch kann mein gan­zer Tag anders ver­lau­fen. Irgend­wie nervt es mich aber auch, dass ich es teil­wei­se „brau­che“ wie ein abhän­gi­ger Jun­kie. Was mich dar­an nervt? Ich ärge­re mich, war­um es mir manch­mal nicht aus­reicht, dass ich selbst mit mei­ner Leis­tung zufrie­den bin.

Durch Insta­gram, Face­book und Co ist es natür­lich leicht sich ein gewis­ses Publi­kum zu ver­schaf­fen, dem man etwas prä­sen­tiert und man direkt ein Feed­back erhält.

Ist es gut sein Kind zu loben?

Ist es also ein natür­li­ches Bedürf­nis des Men­schen gelobt wer­den zu wol­len? Soll­te es nicht eigent­lich das Ziel sein, dass man Din­ge für sich oder um ihrer selbst wil­len macht, da es einem z.B. Freu­de berei­tet? Sprich eine intrin­si­sche Moti­va­ti­on dar­stellt?

Die intrin­si­sche Moti­va­ti­on ist die inne­re, aus sich selbst ent­ste­hen­de Moti­va­ti­on eines jeden Men­schen: bestimm­te Tätig­kei­ten macht man ein­fach gern, weil sie Spaß machen, sinn­voll oder her­aus­for­dernd sind oder einen schlicht inter­es­sie­ren. Intrin­sisch moti­vier­te Tätig­kei­ten wer­den – im Gegen­satz zu extrin­si­schen Moti­ven – um ihrer selbst Wil­len durch­ge­führt und nicht, um eine Beloh­nung zu erlan­gen oder eine Bestra­fung zu ver­mei­den. Dabei schlie­ßen sich intrin­si­sche und extrin­si­sche Moti­ve nicht zwangs­läu­fig aus. Ein Mit­ar­bei­ter kann z.B. sei­ner Arbeit sowohl aus Spaß an der Arbeit als auch dem Wunsch nach ange­mes­se­ner Bezah­lung, Erfolg und Macht nach­ge­hen.

Aber woher kommt es, dass eini­ge Men­schen so ver­ses­sen sind nach Lob und Aner­ken­nung und ande­re legen dar­auf über­haupt kei­nen Wert, sind aber trotz­dem extrem moti­viert? Liegt der Grund für das Gan­ze bereits in der Kind­heit? Wenn man selbst ein Kind hat, fragt man sich dann natür­lich: Ist es über­haupt gut, sein Kind zu loben und was pas­siert, wenn ich es über­trei­be oder unter­las­se?

Als Eltern will man den Nach­wuchs selbst­be­wusst machen und anspor­nen. Das ver­führt dazu, dass man alles „groß­ar­tig, toll, super und klas­se“ fin­det. Es ist durch­aus „gut gemeint“, aber lei­der kon­tra­pro­duk­tiv, wie ich nach vie­len Recher­chen fest­stel­len muss­te.

Lisa und ich haben Vik­tor anfangs für alles abge­fei­ert. Und mit ABFEI­ERN mei­ne ich ABFEI­ERN. Groß­ar­tig hast Du den Hau­fen gemacht, klas­se hast Du Dein Bäu­er­chen auf mei­ne Schul­ter gepfef­fert, pri­ma, wie Du die Rut­sche auf dem Bauch run­ter­ge­rutscht bist. Was ist über­trie­be­nes Lob und gibt es einen Zeit­punkt im Leben eines Kin­des, an dem man mög­li­cher­wei­se ande­re For­men der Aner­ken­nung fin­den soll­te?

Zu viel Lob ver­rin­gert die Leis­tungs­fä­hig­keit

Bei der Recher­che bin ich auf den Effort –Effekt gesto­ßen. Die­ses Phä­no­men besagt, dass zu viel Lob die Leis­tungs­fä­hig­keit von Kin­dern sogar ver­rin­gert. Da Lob so ange­nehm ist, kann es abhän­gig machen und zu einer Moti­va­ti­ons­dro­ge wer­den.

Psy­cho­lo­gen haben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zahl­rei­che Erkennt­nis­se gewon­nen, die vor allem einen Schluss zulas­sen: Zu vie­le Kom­pli­men­te ver­rin­gern die Leis­tungs­fä­hig­keit der Klei­nen.

Unter­su­chun­gen der US-Psy­cho­lo­gin Carol Dweck von der Stan­ford-Uni­ver­si­tät zeig­ten die Aus­wir­kun­gen von Lobes­hym­nen auf Schü­ler. In der Lang­zeit­stu­die wur­de in ver­schie­de­nen Klas­sen der fünf­ten Jahr­gangs­stu­fe jeweils ein Kind nach dem Zufalls­prin­zip aus­ge­wählt. Die­se Schü­ler soll­ten einen ein­fach zu lösen­den Geschick­lich­keits­test aus­füh­ren.

Anschlie­ßend teil­te das Wis­sen­schafts­team den Kin­dern ihr Resul­tat mit – jedoch in unter­schied­li­cher Form. Grup­pe A bekam als Feed­back: „Du bist wirk­lich schlau.“ Grup­pe B wur­de gesagt: „Du hast dich offen­bar wirk­lich ange­strengt.“ Wäh­rend den einen also hohe Intel­li­genz unter­stellt wur­de, beton­te man bei den Ande­ren ihre Wil­lens­stär­ke und Leis­tungs­fä­hig­keit.

In den zwei­ten Run­de hat­ten die Fünft­kläss­ler die Wahl: Sie konn­ten sich frei­wil­lig an einem schwie­ri­ge­ren Test ver­su­chen oder an einem leich­te­ren. Nun mach­te sich das unter­schied­li­che Feed­back in der ers­ten Run­de bereits bemerk­bar. Von den Kin­dern, die nach dem ers­ten Test für ihre Anstren­gung gelobt wur­den, wähl­ten 90 Pro­zent den schwie­ri­ge­ren. Wer für sei­ne Intel­li­genz gelobt wur­de, ent­schied sich meist für den leich­te­ren Test.
„Wenn wir Kin­der für ihre Intel­li­genz loben“, schrieb Dweck in ihrer Zusam­men­fas­sung, „len­ken wir ihr Ver­hal­ten in bestimm­te Bah­nen.“ Dadurch ent­ste­he bei ihnen Angst, Feh­ler zu machen und buch­stäb­lich dumm dazu­ste­hen. Die Kin­der in Dwecks Expe­ri­ment woll­ten die­ses Risi­ko ver­mei­den und wähl­ten daher den leich­ten Test.

In der drit­ten Run­de hat­ten die Schü­ler kei­ne Wahl mehr. Sie erhiel­ten absicht­lich einen schwie­ri­gen Test, der eigent­lich für Schü­ler der 7. Klas­se waren. Das Schei­tern war somit vor­pro­gram­miert. Inter­es­sant war, dass die Kin­der wie­der unter­schied­lich reagier­ten.

Wer zuvor Kom­pli­men­te für sei­ne Arbeits­mo­ral erhal­ten hat­te, führ­te sein Schei­tern auf eige­nes Ver­sa­gen zurück. Die­se Schü­ler streng­ten sich im Test mehr an und über­leg­ten sich ver­schie­de­ne Lösungs­we­ge. Auch wenn sie schei­ter­ten, hat­ten sie Spaß an der Denk­sport­auf­ga­be.

Wie reagier­te die Ver­gleichs­grup­pe der Kin­der, der man vor­ab hohe Intel­li­genz unter­stellt hat­te? Sie nah­men das Schei­tern zum Anlass ihre Intel­li­genz anzu­zwei­feln und gaben die Auf­ga­be nach kur­zer Zeit ohne den Ver­such ande­re Lösungs­we­ge zu tes­ten schlecht gelaunt auf.

Beson­ders span­nend fand ich die vier­te Run­de. Alle Schü­ler beka­men einen Test, der so leicht war wie der ers­te. Das Ergeb­nis: Die Kin­der, die für ihren Fleiß gelobt wor­den waren, ver­bes­ser­ten sich im Ver­gleich zum Anfang des Expe­ri­ments um etwa 30 Pro­zent. Den Schü­lern, denen Intel­li­genz unter­stellt wor­den war, schnit­ten die­ses Mal bis zu 20 Pro­zent schlech­ter ab. Anschei­nend wirk­te sich die zwi­schen­zeit­li­che Neu­ein­schät­zung der eige­nen Intel­li­genz nach dem Schei­tern bei den vor­he­ri­gen Auf­ga­ben nega­tiv auf die letz­te Auf­ga­be bei ihnen aus.

Die Psy­cho­lo­gin Carol Dweck hat­te erwar­tet, dass sich das Lob nega­tiv aus­wir­ken wür­de. Aber dass die Ergeb­nis­se so deut­lich aus­fie­len, war auch für sie über­ra­schend. Sie nann­te die­ses Phä­no­men den Effort-Effekt: Nur wer sei­nen Kin­dern die Bedeu­tung von Anstren­gung und Fleiß (eng­lisch: Effort) ver­mitt­le, gebe ihnen „Kon­trol­le über ihr eige­nes Han­deln“. Wer hin­ge­gen nur die Intel­li­genz lob­preist, nimmt den Kin­dern die­se Kon­trol­le. Beim ers­ten Miss­er­folg stürzt das Selbst­bild dann wie ein Kar­ten­haus in sich zusam­men.

Der Test wur­de spä­ter wei­ter vari­iert und brach­te wie­der­um bemer­kens­wer­te Unter­schie­de her­vor. Nach der Lösung der ers­ten Auf­ga­be wur­de den Kin­dern ange­bo­ten, ent­we­der zu erfah­ren, wie sie im Ver­gleich mit den ande­ren Kin­dern abge­schnit­ten hat­ten oder eine Lösungs­stra­te­gie für die nächs­te Auf­ga­be vor­ge­stellt zu bekom­men.

Grup­pe A ent­schied sich über­wie­gend für den Ver­gleich, Grup­pe B für die Lösungs­stra­te­gie. Wäh­rend also die für ihre Intel­li­genz gelob­ten Kin­der haupt­säch­lich dar­an inter­es­siert waren, ihren Intel­li­genz­sta­tus im Grup­pen­ver­gleich zu prü­fen, war für die ande­re Grup­pe wesent­lich inter­es­san­ter, wie die nächs­te Auf­ga­be bes­ser gelöst wer­den kann.

Fazit:

Offen­sicht­lich kön­nen sich bereits Fein­hei­ten beim Loben tief­grei­fend auf das Ver­hal­ten und die Bemü­hun­gen von Kin­dern aus­wir­ken. Wird betont, wie sehr sie sich ange­strengt haben, moti­viert sie das, da der Ein­satz von ihnen aktiv steu­er­bar ist — wäh­rend gelob­te Eigen­schaf­ten eine sta­ti­sche Grö­ße sind, die sie nicht oder nur in gerin­gem Maß beein­flus­sen kön­nen.

Das Kind für sei­ne Klug­heit zu loben, führt — wie man an den Expe­ri­men­ten von Dweck sieht — schein­bar auch dazu, dass Kin­der sich dar­auf aus­ru­hen: “Ich bin klug, was soll ich mich dann groß anstren­gen”. Mit Miss­er­fol­gen kön­nen sol­che Kin­der dann oft schwer umge­hen, da sie sie als Unvoll­kom­men­heit der eige­nen Per­son emp­fin­den und nicht als aktiv ver­än­der­bar anse­hen.

Wie soll man also reagie­ren?

Wie Du siehst und auch ich fest­stel­len muss­te: Die­ses The­ma ist wirk­lich extrem kom­plex und auf jeden Fall wert sich genau­er damit zu beschäf­ti­gen. Man stellt als Eltern fest, dass man sehr viel häu­fi­ger lobt, als man annimmt und auch, dass es ganz oft mit der Absicht geschieht das Ver­hal­ten des Kin­des in eine bestimm­te Rich­tung beein­flusst wer­den soll. Manch­mal geschieht es auch ganz neben­bei, dass man „klas­se“ ruft, obwohl man gar nicht hin­ge­schaut hat.

Aber was ist nun rich­tig? Wie soll man reagie­ren, wenn ein Kind zum Bei­spiel den Tisch abräumt, auf der Rut­sche steht und einem zuruft oder ein Bild gemalt hat und einem die­ses „Kunst­werk“ unter die Nase hält?

Ich wer­de in der nächs­ten Woche einen zwei­ten Teil dazu schrei­ben, der ganz kon­kre­te Bei­spie­le aus dem All­tag beinhal­tet und Lösungs­an­sät­ze bie­tet.

Bild­nach­weis: Flickr | The Adven­tures of Win­nie the Pooh — Magic King­dom | Haydn Bla­ckey
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