Trotzphase

RAUS AUS DER SKLA­VEN­FAL­LE: WIE MAN ALS ELTERN WIE­DER EIN STÜCK FREI­HEIT SCHNUP­PERN KANN

By on 20. April 2018

[4 Minu­ten — durch­schnitt­li­che Lese­zeit]

Wir waren ange­kom­men im klas­si­schen Eltern-Kind-Mar­ty­ri­um: Das Skla­ven­tum hat­te auch uns erwischt und wir spür­ten, dass die Fes­seln jeden Tag immer enger geschnürt wur­den. Erst waren wir nur Dienst­leis­ter eines hilf­lo­sen Säug­lings, doch irgend­wie hat­ten wir mal wie­der das Stop-Schild über­se­hen und da saßen wir nun mit einem drei­jäh­ri­gen Skla­ven­trei­ber namens Vik­tor.

Man kann sich ohne Kind noch so oft vor­neh­men und jedem kund­tun, dass man es anders machen wird als alle ande­ren Eltern — bis man selbst in der Situa­ti­on ist. Ein wei­te­res Pro­blem war, dass wir irgend­wann mehr gele­sen und Rat­schlä­ge ent­ge­gen genom­men hat­te, als auf unser Gefühl zu hören: man soll nicht stän­dig „Nein“ sagen, da Kin­der sind sowie­so immer die Ver­lie­rer und füh­len sich ent­spre­chend unver­stan­den und den Erwach­se­nen aus­ge­lie­fert, sie sol­len die Wahl haben, bedin­gungs­lo­se Lie­be, Par­ti­zi­pa­ti­on, etc.

Was wir nicht bedacht hat­ten war, dass man im Umkehr­schluss klei­ne Paschas zu Hau­se sit­zen hat, die mer­ken, dass man ver­sucht ihnen alles recht zu machen und das Leben mög­lichst ange­nehm zu gestal­ten.

Der müde Esel auf Kuba

Gleich­zei­tig waren wir schlicht und ergrei­fend zu müde gewor­den für die täg­li­chen Kampf­ein­sät­ze und gaben öfter nach, als es päd­ago­gisch wert­voll gewe­sen wäre. Nur, um end­lich Ruhe zu haben. Fal­scher Ansatz, aber ich will Dich nicht anlü­gen: Die Wahr­heit ist oft ein unpäd­ago­gi­scher, müder Esel auf Kuba, der ein­fach nur in Ruhe gra­sen will und nicht mit dem Zwerg zum 197. Mal dar­über dis­ku­tie­ren möch­te, dass man genau jetzt weder Zeit noch Lust hat ein trans­pa­ren­tes Play­mo­bil-Visier eines Motor­rad­fah­rers im hoch­floo­ri­gen Tep­pich zu suchen, da man jetzt zur Kita fah­ren muss. Du siehst: Wir waren bereits am Tief­punkt und in unse­rer Hand­lungs­fä­hig­keit sehr ein­ge­schränkt. Glaub­ten wir zumin­dest.

Habe ich eigent­lich bereits erwähnt, dass wir müde waren? Ach ja. Gut und das war auch der Aus­lö­ser dafür, dass wir etwas ändern muß­ten. Aber schnell. Sowohl im Hin­blick auf unse­re Situa­ti­on mit dem Zwerg, als auch mit unse­rer Ernäh­rung. Glück­li­cher­wei­se war auch gera­de das Jah­res­ge­spräch in der Kita, sodass man auch direkt eini­ge The­men dort dis­ku­tie­ren konn­te.

Punkt 1 bis 4 änder­ten wir umge­hend

Beson­ders das Knat­s­chen von Vik­tor, wenn er unzu­frie­den war (und das war er natür­lich gefühlt stän­dig), ging uns mäch­tig auf den Zwirn und stra­pa­zier­te unse­re Ner­ven. Das war Punkt 1 auf unse­rer Lis­te und wir gin­gen das The­ma direkt an. Wir erklär­ten Vik­tor, dass er jetzt 3 Jah­re alt ist und er uns ver­nünf­tig sagen kann, was er für Her­aus­for­de­run­gen hat. Dann wür­den wir ver­su­chen eine Lösung zu fin­den. Knat­s­chen ist etwas für klei­ne Kin­der, die noch nicht spre­chen kön­nen und wir wür­den ent­spre­chend ab dem heu­ti­gen Tag auf sein Knat­s­chen abso­lut NULL reagie­ren. Er kön­ne es ger­ne tes­ten. Das wäre nun Fakt. Ende der Dis­kus­si­on.

Punkt 2 war sei­ne Bequem­lich­keit. Er war wie jedes Kind anfangs sehr flei­ßig und woll­te alles sel­ber machen. Die Moti­va­ti­on dazu ebb­te genau an dem Tag ab, als er geschickt genug war, die Din­ge wirk­lich selb­stän­dig zu über­neh­men wie Spül­ma­schi­ne mit aus­räu­men, Spiel­sa­chen ein­sor­tie­ren, Tisch decken, Was­ser ins Glas schüt­ten, Taschen­tuch benut­zen, Fahr­rad selbst schie­ben, etc.

Mama/Papa mach Du das“ oder „Ne, ich will aber nicht, mach Du das“ oder „Ich will nicht auf­ste­hen, brin­ge mir das“ waren nun ein­ge­spiel­te Stan­dard­sät­ze, die ent­we­der uns zu Skla­ven mach­ten oder zu Schrei­krämp­fen eines bocki­gen Drei­kä­se­hoch führ­ten. Im Volks­mund auch Trotz­an­fall genannt. Und wer selbst ein Kind hat weiß, dass eine Klei­nig­keit wie ein hal­ber statt gan­zer Keks ger­ne ein aus­ge­wach­se­ner Tob­suchts­an­fall wer­den kann, der bis zu einer Stun­de fröh­lich eska­liert.

Lisa sind sol­che Sze­nen in Gesell­schaft pein­lich und daher ging sie meist den Weg des gerings­ten Wider­stan­des. Das bedeu­te­te auch ger­ne 39 Mal auf­ste­hen, um dem Kind die Nase zu put­zen, da es schrie „Die Nase läuft, komm schnell“. Aber damit war nun Schluss. Wir nah­men uns vor, dass wir nun lie­ber den mög­li­chen Anfall aus­hal­ten bevor wir wie­der in die Skla­ven­fal­le tap­pen.

Punkt 3 war und ist unse­re Ernäh­rung. Wir dach­ten immer, dass wir uns gesund ernäh­ren. Grund­sätz­lich stimmt das wahr­schein­lich auch, aber wir aßen die rich­ti­gen Din­ge zur fal­schen Zeit oder wir tran­ken zu wenig über den Tag ver­teilt.

Punkt 4: Wir führ­ten den Papa-Tag ein. Ein High­light am Wochen­en­de gehört nun nur Vik­tor und mir. Ein geplan­ter Aus­flug mit allem Zipp und Zapp. Er wird in der Woche gemein­sam über­legt, geplant und ganz allei­ne aus­ge­führt. Mama darf sich weder ein­mi­schen noch hel­fen.

Kri­tik­los Die­nen oder eben nicht ist anfangs gleich anstren­gend, aber das Ergeb­nis ist halt ein ande­res

Und was soll ich Dir sagen? Es ist mög­lich. Am Ende ist bei­des gleich anstren­gend, aber nach ein paar Wochen ern­test Du ein paar klei­ne Früch­te und Dein Kind ver­sucht zumin­dest selb­stän­di­ger Her­aus­for­de­run­gen zu lösen und ist wesent­lich fle­xi­bler, wenn es an die Gren­zen von ande­re Mit­men­schen stößt. Lang­fris­tig auf jeden Fall wich­tig, wie man unschwer auch an Erwach­se­nen erken­nen kann, die das lei­der nie gelernt haben.

Ich wer­de berich­ten, was aus dem armen Kna­ben wird, der nun öfter ein Nein hört und trotz­dem bedin­gungs­los geliebt wird. Und natür­lich, wie das Leben nach der Skla­ve­rei schmeckt, riecht und sich anfühlt. #BisKind2Kommt

Bild­nach­weis: uns­plash |Ayo Ogun­sein­de
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